Thomas Feuerstein verwebt in seinen Projekten Kunst, Literatur und Philosophie mit Ökonomie, Politik, digitalen Medien und Biotechnologie zu künstlerischen Narrativen. Die Arbeiten umfassen raumgreifende Installationen, prozessuale Skulpturen, Zeichnungen, Hörspiele, Bio- und Netzkunst. Seit den 1990 Jahren stehen Informations- und Biotechnologien im Mittelpunkt seiner Arbeiten, die künstliche neuronale Netze und Biotechnologien, biologische Modellorganismen und eigene Körperzellen einbeziehen. Zentrale Aspekte bilden die Verknüpfung von verbalen, visuellen und materiellen Elementen, das Aufdecken latenter Überlagerungen von Fakt und Fiktion sowie die Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft. Feuerstein lehrt derzeit als Professor für künstlerische Diskurse am Institut für experimentelle Architektur der Universität Innsbruck.
ARTWORKS
Thomas Feuerstein
HYDRA
(Manna Maschine) (2021)
Stahl, Kunststoff, Glas, Grünalgen (Chlorella vulgaris), Pumpsystem, Maße variabel
Aus der Skulptur HYDRA, einem Hybrid aus U-Boot und Walfisch, wachsen Schläuche, in denen grüne Schwebealgen (Chlorella vulgaris) zirkulieren. Das über einen Kilometer lange Schlauchsystem dient den Algen vergleichbar den Blättern und Ästen eines Baumes der Oberflächenvergrößerung, Lichtaufnahme und Fotosynthese. Die mäandernden Schläuche schaffen eine grüne Zeichnung im Raum.
Grün ist für Feuerstein mehr als eine Farbe: Chlorella fungiert in seinen Manna-Maschinen als chlorophyllreichste und grünste Pflanzenzelle über die Botanik hinaus als Modellorganismus unserer Kultur. Sie bildet einen narrativen Knoten, der spekulative Utopien, Science-Fiction, Ideologien, Materialtransformationen, Kunst, Wissenschaft, Ökonomie und Politik verknüpft. Die großen Probleme der Gegenwart wie Ernährung, Klima und Ressourcenknappheit verdichten sich in dieser kleinen Zelle. In Feuersteins Manna-Maschinen wächst Pigment für seine monochromen Malereien, wird Zucker und Nahrung für Fruchtfliegen und Bakterienkulturen produziert, wird Algenbiomasse zur Spirituose TONO-BUNGAY fermentiert, oder molekular zur Basis für neue Materialien und Biokunststoffe.
HYDRA versinnbildlicht mythologisch das Ungeheuerliche. Verliert sie einen Kopf wachsen zwei neue nach. Diesen Eindruck vermitteln zuweilen Wissenschaft und Technologie, indem eine Lösung wieder neue Probleme schafft. Feuersteins HYDRA entspringen zahlreiche Referenzen auf Kultur- und Wissenschaftsgeschichte und gleichzeitig neue biotechnologische Möglichkeiten. HYDRA erweist sich nicht als feindliches Monster der Natur, vielmehr als biologischer Akteur, der natürliche Prozesse performiert und über seine photoautotrophe Ressourcenproduktion alternative Handlungshorizonte in Aussicht stellt. Metaphorische und symbolische Spielräume der Kunst werden durch das Metabolische erweitert – durch den biologischen Stoffwechsel der Algen, ihre Bindung von Kohlendioxyd, und die Synthese von organischen Stoffen. HYDRA verweist über seine hybride Form aus Walfisch und U-Boot auf einen Naturbegriff, der Kultur, Technologie und Biosphäre in ein wechselseitiges Verhältnis setzt. Grün wird zu einem narrativen Knoten, der unterschiedliche Erzählstränge wie Farbe, Stoffwechsel, Natur und Kultur verstrickt und einen Wandel von der Petrochemie zur Biochemie experimentell erprobt.
Dank an Christian Ebner, Arbeitsbereich Umwelttechnik, Universität Innsbruck.
GREEN BLOOD
(2009-2021)
C-Print auf Plane, 700 x 800 cm, Mikrofotografie von Chlorella vulgaris
Die Mikroalge Chlorella (wörtlich: ‚kleines Grün’), etwa so groß wie ein rotes Blutkörperchen, beinhaltet die höchstmögliche Konzentration an Chlorophyll und gilt somit als die grünste aller Pflanzenzellen. Sie fungiert in der Botanik als Modellorganismus, an dem u.a. die Photosynthese erforscht wurde, wofür Melvin Calvin 1961 den Nobelpreis erhielt. GREEN BLOOD verweist auf die molekulare Verwandtschaft zwischen Chlorophyll und Hämoglobin, die chemisch nahezu strukturgleich sind und sich im Wesentlichen vor allem durch die Elemente Magnesium und Eisen unterscheiden.
Dank an Thomas Seppi, Institut für Onkologie und Strahlentherapie der Medizinischen Universität Innsbruck
ERNTE
(2006 – 2009)
Algen (Chlorella vulgaris), Leinöl auf Holz, je 60 x 45 cm
Die Biomasse der Algen, die in Feuersteins Manna-Maschinen heranwächst, wird gefiltert, getrocknet und zu Pigment verarbeitet. Gebunden in Leinöl oder Harz werden die Algen zum Malmaterial für monochrome Bilder. Das Farbspektrum des grünen Pigments wird durch Karbonisierung auf schwarz, sowie durch die Herstellung von Pottasche auf grau-beige erweitert. Die materiellen und farblichen Transformationen verweisen auf die Geschichte der Malerei sowie auf industrielle Kontexte, wie u.a. auf die Herstellung von Pottasche, die historisch und zum Teil bis heute zur Seifen- und Schießpulverherstellung mit Algen verbunden ist. Der Titel ERNTE spielt auf die Landwirtschaft und Mechanismen des Kunstmarkts an, indem der Künstler, vergleichbar einem Bauern, die Ernte einbringt. Die Ernte der Algen, die während Ausstellungen wächst, bestimmt die Größe und Anzahl der Bilder.
TONO BUNGAY
(2007)
Glasflasche, Siebdruck auf Metallfolie, Algendestillat aus Chlorella vulgaris, 35 x 8 x 8 cm
Die in den Manna-Maschinen kultivierten Algen werden fermentiert und zum alkoholischen Tonikum TONO BUNGAY destilliert. Der Titel zitiert einen 1909 von H.G. Wells veröffentlichten Roman, in dem das gleichnamige Tonikum bestehend aus einer geheimen Formel und Alkohol als Energydrink im Mittelpunkt steht. Die Geschichte beschreibt den Aufstieg und Fall eines auf der ‚modernen Ökonomie’ von Marketing und Kapitalismus basierenden Unternehmens. Der Erzähler ist brotloser Wissenschaftler, der wehmütig die leere Betriebsamkeit ökonomischer Ressourcen ohne Nutzen und Fortschritt für die Menschheit reflektiert. Am Ende des Romans glückt ihm eine Anstellung als Ingenieur bei einer Werft, wo er zu seinem Leidwesen Kriegsschiffe entwickelt. Für die melancholischen Helden der Wissenschaft entwickelte Thomas Feuerstein gemeinsam mit dem Biologen Thomas Seppi eine Spirituose auf Basis von Algen, deren Aroma trocken wie die Wissenschaft ist.
Dank an Thomas Seppi, Medizinische Universität Innsbruck.
FUTUR II
(Time Machine) (2013)
Glas, Stahl, Kunststoff, Grünalgen (Chlorella vulgaris), 245 x 240 x 200 cm
Die Biomasse der Algen wird in der Skulptur FUTUR II durch den von Friedrich Bergius 1913 beschriebenen chemischen Prozess der hydrothermalen Karbonisierung in Kohle umgewandelt. Wie im Zeitraffer verwandeln sich die Pflanzenzellen innerhalb weniger Stunden in Kohlenstoff – ein Prozess, der in der Natur zehntausende Jahre dauern würde. Auf diese Weise wird Kohle für die Kunst gewonnen, die zu Stiften gepresst Feuerstein für seine Zeichnungen verwendet. Das Grün der Algen transformiert sich in das Schwarz der Kohle. Das Zeichenmaterial bzw. der aus Kohlendioxyd gewonnene Kohlenstoff schreibt sich in die Motive der Bilder ein und schafft eine Überschneidung von Materialität und Bedeutung, von Signifikant und Signifikat. FUTUR II performiert über den Prozess der Algenkarbonisierung und die resultierenden Kohlezeichnungen eine historische Wende kultureller Kohlenstoffkreisläufe, die am Ort der Muffathalle, wo einst Kohle zur Gewinnung von Elektrizität für die Münchner Straßenbahnen verfeuert wurde, sinnfällig wird.
Dank an Christian Ebner, Arbeitsbereich Umwelttechnik, Universität Innsbruck
COSMOSE
(2019)
Kohlenstoff auf Papier, 179 x 132 cm
Der Kohlenstoff, der aus heranwachsender Algenbiomasse in der Skulptur FUTUR II hydrothermal karbonisiert wurde, wird anschließend zu Stiften gepresst, die das Zeichenmaterial für seine Werkserie „Kohle für die Kunst“ liefern. COSMOSE changiert zwischen Natur und Technik und zeigt ein Form, welche an einen von technoiden Leitungssystemen und organischen Gedärmen durchwachsenen Asteroiden erinnert. Gleichzeitig abstrakt und gegenständlich steht das gezeichnete Objekt sowohl für das Anzestrale als auch im Sinn von Futur II für eine bereits vollendete Zukunft.
ARTWORKS
Adam Brown
Shadows from the Walls of Death
(2019-2021)
Performance in Zusammenarbeit mit Rebekah Blesing (USA) und Unterstützung von Manuel Selg (AT)
Die Performance und Installation Shadows from the Walls of Death dekonstruiert die symbolische und oberflächliche Verwendung von ,Grün’ – meist assoziiert mit ökologischem bzw. pflanzlichem Wohlergehen – als Maskerade. Dazu stellt er ein hochgiftiges Pigment namens Paris Green her und bemalt damit sprichwörtlich tödliche Wandtapeten, mit denen der Mensch ironischer Weise seine materielle Verbindung mit der Farbe Grün wiederhergestellt hat. Mit der Synthese dieses hyper-toxischen grünen Pigments, als Gegenpol zu Bildern einer idealisierten pastoralen Natur, nimmt die Performance Shadows from the Walls of Death auf ein gleichnamiges Buch des Chemikers Dr. Robert Kedzie aus dem Jahre 1874 Bezug, in dem dieser die Öffentlichkeit über die Gefahren von arsenhaltigen Tapeten aufklärte. Hatte die industrielle Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts moderne Städte entstehen lassen, die den Menschen aus der verflochtenen Verbindung mit der Natur lösten, so deuten immer mehr genetische, physiologische und psychologische Indizien darauf hin, dass sich der Mensch biologisch wie kulturell derart entwickelt hat, dass er sich zu Grünem hingezogen fühlt. Dies mag zu dem menschlichen Drang geführt haben, Grünes in städtischen Umgebungen wiederherstellen zu wollen – und dies resultiert jedoch in einer Reihe von Paradoxien und Widersprüchen: Gerade die chemischen Prozesse, die künstlich eingesetzt wurden, um ,Grün’ ins Leben der Menschen zurückzubringen, liefen parallel zur anthropogenen Zerstörung der Umwelt. In Massenproduktion hergestellte giftige Pigmente wurden verwendet – sei es von Künstlern, zur Textilfärbung, in bedruckten Tapeten und sogar als Farbstoff für Süßigkeiten – u.a. um dekorative Muster zu reproduzieren, die versuchten jene ‚Natur’ zu ersetzen, die durch die industrielle Revolution erodiert wurde. Bewaffnet mit einer relativ preiswerten Palette leuchtender prismatischer Farben – wie z.B. Paris, Schweinfurt oder Smaragdgrün – zogen Maler aus, symbolische Illusionen der natürlichen Welt zu fertigen.
In Shadows from the Walls of Death wird Paris Green live in einem kontrollierten, chemisch sicherem Dispositiv hergestellt, um jene tödlichen Tapeten aufs Neue zu reproduzieren. Schließlich wird noch ein ikonisches Motiv in Paris Green gemalt, welches sich auf Van Gogh bezieht, um dann in einem letzten Schritt wiederum von bakterienbasierte Mikroökologien biologisch abgebaut und entgiftet zu werden. Derartige mikro-ökologische Systeme sind in der Lage, Arsen zu entsorgen; sie existieren aufgrund des evolutionären Prinzips ‚Alles ist überall, und die Umwelt selektiert.’ Diese nicht-menschlichen Mikro-Ökologien helfen uns einerseits aus der Patsche verseuchter Ökosysteme, und andererseits dabei, jene Ontologien zu dekonstruieren, die sich lediglich um menschliche Individualität drehen. Als indexikalischer Akt stellt diese künstlerische Aktion Fragen jenseits des Symbolischen und unterstreicht die Bedeutung eines materiellen, erkenntnistheoretischen und politischen Engagements der Künste, hat doch die chemische Synthese giftiger Pigmente den Verlauf der Kunstgeschichte selbst radikal verändert.
Mit Unterstützung von: Michigan State University Bridge Art, Science and Humanities Program