Muffatwerk München zeigt:

gREen

Sampling Color - Farbe vermessen

was ist grün? Sind wir grün? Ist Biodiesel grün? Und sind Algen Superfood oder Umweltpest - oder gar beides? Das Muffatwerk München stellt sich ab 7. September 2021 in der Ausstellung gREen: Sampling Color - Farbe vermessen diesen Fragen. 

Im Zentrum stehen monumentale biotechnische Installationen, künstlerische Duftportraits von Bäumen und chemische Reproduktionen historischer giftiger Pigmente. Die Werke der teilnehmenden Künstler*innen Agnes Meyer-Brandis, Thomas Feuerstein und Adam Brown gehen der ambivalenten Symbolik der Farbe „Grün“ auf den Grund - mit all ihren Widersprüchen und Paradoxien. Ist uns „Grün“ vielleicht deshalb so wichtig, weil hier Natürlichkeit und Künstlichkeit, das Gesunde und das Toxische, Erhofftes und Verlorenes oszillieren?
Die Ausstellung ist der Auftakt zu einer neuen Veranstaltungsreihe des Muffatwerks München, die im Spannungsfeld von Kunst, Natur und Wissenschaft die aktuelle Dynamik im Klimaschutz begleiten wird.

07.09. bis 16.09
Living Installations und Symposium
Ort: Muffatwerk, München
Eröffnung Di 07.09. 19 Uhr
Öffnungszeiten
Mo – Fr 19-23 Uhr  | Sa 14 – 23 Uhr | So 11 – 18 Uhr
Eintritt frei

Kurator: Jens Hauser
Executive Producer: Dietmar Lupfer
Eine Produktion des Muffatwerkes mit Unterstützung des Kulturreferats der Landeshauptstadt München

An Art & Science Symposium

Biographie

Agnes Meyer-Brandis ist eine in Berlin lebende Künstlerin mit einem Schwerpunkt in skulpturaler Praxis und neuen Medien. Sie kreiert Werke im Spannungsfeld von Wissenschaft, Fiktion und Fabel schafft. Zunächst in Mineralogie ausgebildet, gefolgt von Studien an den Kunstakademien in Maastricht, Düsseldorf und Köln, ist sie Gründerin und Leiterin des ‚Forschungsfloßes’, einem „Institut für Kunst und subjektive Wissenschaft,“ das gezielt „Fragen stellt, aber keine Antworten gibt“ in Bereichen wie Klimaforschung, Umweltstudien, Meteorologie, synthetischer und künstlerischer Biologie. Meyer-Brandis’ Arbeiten wurden weltweit ausgestellt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Prix Ars Electronica Award of Distinction.

Thomas Feuerstein verwebt in seinen Projekten Kunst, Literatur und Philosophie mit Ökonomie, Politik, digitalen Medien und Biotechnologie zu künstlerischen Narrativen. Die Arbeiten umfassen raumgreifende Installationen, prozessuale Skulpturen, Zeichnungen, Hörspiele, Bio- und Netzkunst. Seit den 1990 Jahren stehen Informations- und Biotechnologien im Mittelpunkt seiner Arbeiten, die künstliche neuronale Netze und Biotechnologien, biologische Modellorganismen und eigene Körperzellen einbeziehen. Zentrale Aspekte bilden die Verknüpfung von verbalen, visuellen und materiellen Elementen, das Aufdecken latenter Überlagerungen von Fakt und Fiktion sowie die Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft. Feuerstein lehrt derzeit als Professor für künstlerische Diskurse am Institut für experimentelle Architektur der Universität Innsbruck.

 

Adam Brown ist ein Intermedia-Künstler, Wissenschaftler und Forscher, der Kunst und Wissenschaft verbindet in Arbeiten mit lebendigen, biologischen Systemen, Robotik, Molekularchemie und neuen Technologien, die in Form von Installationen, interaktiven Objekten, Video, Performance und Fotografie zum Einsatz kommen. Brown ist ordentlicher Professor an der Michigan State University und leitet dort den neuen Studienbereich Electronic Art & Intermedia sowie das Artist-in-Residence-Programm ‚Bridge’. Brown hat in zahlreichen internationalen Ausstellungen in Nord- und Südamerika sowie in Europa ausgestellt und erhielt Auszeichnungen, darunter mehrere Ehrenerwähnungen beim Prix Ars Electronica. Jens Hauser arbeitet als Medienwissenschaftler, Autor und Kurator in Paris und Kopenhagen; er beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Kunst und Technologie. Er ist derzeit Forscher am Medical Museion der Universität Kopenhagen, Co-Direktor des ,Bridge’-Künstlerresidenz-Programms der Michigan State University, und lehrt des Weiteren an der Donau-Universität Krems, der Universität Innsbruck, an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne, und ist Gastforscher an der École Polytechnique Paris-Saclay. Als Kurator hat Hauser über 30 internationale Ausstellungen und Festivals organisiert. Er koordiniert das (OU)VERT-Netzwerk für ‚Greenness Studies’ und beschäftigt sich seit 30 Jahren mit ‚Grün’.

 

7.-16.09. gREen

ARTWORKS
Agnes Meyer-Brandis

 

One Tree ID

(2019-2021)

Wie Menschen haben auch Bäume und Pflanzen ihren jeweils individuellen Geruch. One Tree ID verdichtet die Identität eines bestimmten Baumes zu einem komplexen Parfüm, das von menschlichen Besuchern wahrgenommen werden kann, um so das Kommunikationssystem des Baumes auf biochemischer Ebene zu erfassen. Durch das Auftragen des Parfüms kann eine Person nicht nur Merkmale des Baumes, neben dem sie steht, unsichtbar tragen, sondern auch Teile seines Kommunikationssystems nutzen und möglicherweise eine Unterhaltung führen, die – obwohl von Natur aus unsichtbar und unhörbar –  dennoch auf der biochemischen Ebene und somit auf dem Wege stattfindet, welche Pflanzen zum Informationsaustausch nutzen. Die Künstlerin will Empathie erzeugen sowie die Art und Weise in der wir unsere Sinne nutzen hinterfragen, um neue Verknüpfungen und Interaktionen zwischen den Arten zu schaffen. In diesem Sinne bieten die Düfte der One Tree ID alternative Möglichkeiten des Informationsaustausches mit dem Pflanzenreich, von dessen Existenz die Menschheit letztlich abhängig ist.

Die Arbeit basiert auf der Tatsache, dass Pflanzen sogenannte ‚Volatile Organic Compounds’ (VOC) emittieren und damit kommunizieren – Gase und Moleküle, die auch zur Wolkenbildung beitragen und die wir als typischen Wald-Duft erkennen. Diese Emissionen sind für jede einzelne Pflanze sehr spezifisch. Jeder Baum erzeugt seine eigene Wolke. Die Wurzeln und ihre Bakterien, der Baumstamm und die Nadeln emittieren jeweils unterschiedliche VOCs, die von Meyer-Brandis und ihren wissenschaftlichen Partnern separat gemessen wurden. Für die ausgestellten Parfüms hat die Künstlerin mit einem professionellen Parfümeur zusammengearbeitet, der an dem Baum riecht, die gesammelten Maschinendaten und die Daten der Nase abgleicht und daraus die ‚Wolke der Wurzeln’, die ‚Wolke des Baumstamms’ und die ‚Wolke der Baumkrone’ erzeugt, die dann letztlich in der Synthese eines einzigartigen One Tree ID Parfüms münden.

Für die Ausstellung wurden zwei Bäume ausgewählt: ein Spitzahorn (Acer platanoides), eine heimische europäische Art, und ein persischer Eisenholzbaum (Parrotia persica), der im Nord-Iran heimisch ist. Der Eisenholzbaum kann in der Ausstellungshalle in seinem Messaufbau besichtigt werden – und seine flüchtige Identität wird durch das Auftragen seines One Tree ID-Duftes erlebbar. Der Spitzahorn hingegen ist ein gewöhnlicher Stadtbaum, der draußen in der Nähe der Muffathalle steht. Um den Stadtbaum zu besuchen und mit ihm zu kommunizieren, können sich die Besucher ihr persönliches One Tree ID-Test Kit an der Ausstellungstheke abholen oder es über die eigens dafür eingerichtete Online-Plattform onetreeid.de beziehen. Das Parfüm sollte erst dann aufgetragen werden, wenn sich die Besucher neben dem Baum befinden und bereit sind, sich von der Online-Plattform durch ihr ganz persönliches Experiment führen zu lassen.

Mit freundlicher Unterstützung von: Jörg-Peter Schnitzler und Andrea Ghirardo, Helmholtz Zentrum München, Abteilung für Experimentelle Umweltsimulation (EUS), Stiftung Kunstfonds. In Zusammenarbeit mit Marc vom Ende, Senior Perfumer/Symrise.

 

Forest Green

(Sleeping and Awakening) (2018-2021)

Welche Farbe würde ein Wald haben, wenn er nur eine Farbe hätte? Grün? Vielleicht auch nicht...

Diese Anordnung von Zweikanal-Videoinstallationen zeigt jeweils zehntausende Bilder, die von wissenschaftlichen Beobachtungskameras von Wäldern in Finnland im Laufe von zwei Jahren aufgenommen wurden und deren durchschnittliche RGB-Farbwerte. Ausgangspunkt für diese Untersuchung war ein Gespräch mit dem Waldforscher Pasi Kolari. Auf die Frage, ob es so etwas wie ‚schöne Daten’ gibt, zeigte der Wissenschaftler ein von ihm geliebtes statistisches Diagramm, das den Auf- und Untergang von grünen Farbkoordinaten in einem Wald darstellt.

Forest Green zeigt das Erwachen und Schlafen der Bäume über die Dauer mehrerer Jahre. Die linken Videokanäle zeigen jeweils monochrome Farbfelder. Die Farben sind präzise berechnet und geben den durchschnittlichen RGB-Farbwert einer Landschaft wieder, der von einer speziell entwickelten Software generiert wird. Schnell wechselnde Einblicke spiegeln die Farbpalette der Natur, von Tagen und Nächten, sowie den Jahreszyklus wider. Die rechten Kanäle zeigen die unmittelbare Realität der borealen Wälder, aus denen die RGB-Daten generiert wurden: Webcam-Bilder, die in mehreren Wald-Feldstationen in Finnland (2014-2016) aufgenommen wurden, um den Zusammenhang zwischen Vegetationsphänologie (Jahreszeiten-Rhythmus) und CO2-Austausch über diesen Zeitraum zu untersuchen. Während der Nacht und der dunklen Wintertage des hohen Nordens sind die Bilder schwarz. Die von Michael Moser komponierte Tonspur reflektiert und verdichtet die flackernde Erzählung von Wäldern und Farben.

In Zusammenarbeit mit: Pasi Kolari und der SMEAR Wald-Forschungs-Station Hyytiälä/Finland, Universität Helsinki und Climate Whirl. Software: Christian Dietz.
Ton: Michael Moser.
Daten: Pasi Kolari und Mikko Peltoniemi. Mit Unterstützung von:
Stiftung Kunstfonds.

 

Among Trees

Clones and Cultivars (2015)

Die Zweikanal-Videoinstallation Among Trees, Clones and Cultivars ist eine humorvolle Interpretation der Künstlerin jenes Phänomens, das ‚Baummigration’ genannt wird. Es bezeichnet die Beobachtung, dass sich Baumarten an die Auswirkungen des Klimawandels auf Waldökosysteme anpassen und in höhere Lagen ‚klettern, um mit der Geschwindigkeit der globalen Erwärmung Schritt zu halten. Bäume sind im Allgemeinen nicht für ihre Mobilität bekannt, aber neuere wissenschaftliche Veröffentlichungen legen nahe, dass sich einige Arten tatsächlich mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Jahrhundert bewegen können. Während sich Bäume selbst nicht bewegen, ist Meyer-Brandis von der Idee fasziniert, dass Setzlinge dennoch ‚laufen’ können. Sie expandieren in eine neue Region und überqueren dabei nicht nur einen Kilometer pro Jahr, sondern auch Grenzen. Ist die Angst vor Migranten in unseren heutigen Gesellschaften allgegenwärtig, so wird dann auch gerne der Begriff ‚invasive Spezies’ oft verwendet, um heimische gegen ‚fremde’ Arten zu verteidigen. Da der Klimawandel anscheinend schneller voranschreitet, als Bäume in geeignetere Gebiete ausweichen können um zu überleben, denken Meyer-Brandis und ihr sogenanntes Office for Tree Migration über die Möglichkeit ‚assistierter Migration’ nach, die Bäumen hilft, ihren Anpassungsprozess durch Training zu beschleunigen. Das Video zeigt deshalb eine Exkursion durch und über das experimentelle Forschungsarboretum der Humboldt-Universität Berlin, das alle möglichen Baumarten beherbergt, darunter verschiedene Klone und zahlreiche Mutanten. Es entsteht ein Versteckspiel, bei dem Bäume auftauchen und verschwinden, kommen und gehen.

 

Mit Unterstützung von: Versuchsstation Zepernick, Forschungs-Arboretum der Humboldt-Universität zu Berlin.

 

 

ARTWORKS
Thomas Feuerstein

 

HYDRA

(Manna Maschine) (2021)

Stahl, Kunststoff, Glas, Grünalgen (Chlorella vulgaris), Pumpsystem, Maße variabel

Aus der Skulptur HYDRA, einem Hybrid aus U-Boot und Walfisch, wachsen Schläuche, in denen grüne Schwebealgen (Chlorella vulgaris) zirkulieren. Das über einen Kilometer lange Schlauchsystem dient den Algen vergleichbar den Blättern und Ästen eines Baumes der Oberflächenvergrößerung, Lichtaufnahme und Fotosynthese. Die mäandernden Schläuche schaffen eine grüne Zeichnung im Raum.

Grün ist für Feuerstein mehr als eine Farbe: Chlorella fungiert in seinen Manna-Maschinen als chlorophyllreichste und grünste Pflanzenzelle über die Botanik hinaus als Modellorganismus unserer Kultur. Sie bildet einen narrativen Knoten, der spekulative Utopien, Science-Fiction, Ideologien, Materialtransformationen, Kunst, Wissenschaft, Ökonomie und Politik verknüpft. Die großen Probleme der Gegenwart wie Ernährung, Klima und Ressourcenknappheit verdichten sich in dieser kleinen Zelle. In Feuersteins Manna-Maschinen wächst Pigment für seine monochromen Malereien, wird Zucker und Nahrung für Fruchtfliegen und Bakterienkulturen produziert, wird Algenbiomasse zur Spirituose TONO-BUNGAY fermentiert, oder molekular zur Basis für neue Materialien und Biokunststoffe.

HYDRA versinnbildlicht mythologisch das Ungeheuerliche. Verliert sie einen Kopf wachsen zwei neue nach. Diesen Eindruck vermitteln zuweilen Wissenschaft und Technologie, indem eine Lösung wieder neue Probleme schafft. Feuersteins HYDRA entspringen zahlreiche Referenzen auf Kultur- und Wissenschaftsgeschichte und gleichzeitig neue biotechnologische Möglichkeiten. HYDRA erweist sich nicht als feindliches Monster der Natur, vielmehr als biologischer Akteur, der natürliche Prozesse performiert und über seine photoautotrophe Ressourcenproduktion alternative Handlungshorizonte in Aussicht stellt. Metaphorische und symbolische Spielräume der Kunst werden durch das Metabolische erweitert – durch den biologischen Stoffwechsel der Algen, ihre Bindung von Kohlendioxyd, und die Synthese von organischen Stoffen. HYDRA verweist über seine hybride Form aus Walfisch und U-Boot auf einen Naturbegriff, der Kultur, Technologie und Biosphäre in ein wechselseitiges Verhältnis setzt. Grün wird zu einem narrativen Knoten, der unterschiedliche Erzählstränge wie Farbe, Stoffwechsel, Natur und Kultur verstrickt und einen Wandel von der Petrochemie zur Biochemie experimentell erprobt.

Dank an Christian Ebner, Arbeitsbereich Umwelttechnik, Universität Innsbruck.

 

GREEN BLOOD

(2009-2021)

C-Print auf Plane, 700 x 800 cm, Mikrofotografie von Chlorella vulgaris

Die Mikroalge Chlorella (wörtlich: ‚kleines Grün’), etwa so groß wie ein rotes Blutkörperchen, beinhaltet die höchstmögliche Konzentration an Chlorophyll und gilt somit als die grünste aller Pflanzenzellen. Sie fungiert in der Botanik als Modellorganismus, an dem u.a. die Photosynthese erforscht wurde, wofür Melvin Calvin 1961 den Nobelpreis erhielt. GREEN BLOOD verweist auf die molekulare Verwandtschaft zwischen Chlorophyll und Hämoglobin, die chemisch nahezu strukturgleich sind und sich im Wesentlichen vor allem durch die Elemente Magnesium und Eisen unterscheiden.

Dank an Thomas Seppi, Institut für Onkologie und Strahlentherapie der Medizinischen Universität Innsbruck

 

ERNTE

(2006 – 2009)

Algen (Chlorella vulgaris), Leinöl auf Holz, je 60 x 45 cm

Die Biomasse der Algen, die in Feuersteins Manna-Maschinen heranwächst, wird gefiltert, getrocknet und zu Pigment verarbeitet. Gebunden in Leinöl oder Harz werden die Algen zum Malmaterial für monochrome Bilder. Das Farbspektrum des grünen Pigments wird durch Karbonisierung auf schwarz, sowie durch die Herstellung von Pottasche auf grau-beige erweitert. Die materiellen und farblichen Transformationen verweisen auf die Geschichte der Malerei sowie auf industrielle Kontexte, wie u.a. auf die Herstellung von Pottasche, die historisch und zum Teil bis heute zur Seifen- und Schießpulverherstellung mit Algen verbunden ist. Der Titel ERNTE spielt auf die Landwirtschaft und Mechanismen des Kunstmarkts an, indem der Künstler, vergleichbar einem Bauern, die Ernte einbringt. Die Ernte der Algen, die während Ausstellungen wächst, bestimmt die Größe und Anzahl der Bilder.

 

TONO BUNGAY

(2007)

Glasflasche, Siebdruck auf Metallfolie, Algendestillat aus Chlorella vulgaris, 35 x 8 x 8 cm

Die in den Manna-Maschinen kultivierten Algen werden fermentiert und zum alkoholischen Tonikum TONO BUNGAY destilliert. Der Titel zitiert einen 1909 von H.G. Wells veröffentlichten Roman, in dem das gleichnamige Tonikum bestehend aus einer geheimen Formel und Alkohol als Energydrink im Mittelpunkt steht. Die Geschichte beschreibt den Aufstieg und Fall eines auf der ‚modernen Ökonomie’ von Marketing und Kapitalismus basierenden Unternehmens. Der Erzähler ist brotloser Wissenschaftler, der wehmütig die leere Betriebsamkeit ökonomischer Ressourcen ohne Nutzen und Fortschritt für die Menschheit reflektiert. Am Ende des Romans glückt ihm eine Anstellung als Ingenieur bei einer Werft, wo er zu seinem Leidwesen Kriegsschiffe entwickelt. Für die melancholischen Helden der Wissenschaft entwickelte Thomas Feuerstein gemeinsam mit dem Biologen Thomas Seppi eine Spirituose auf Basis von Algen, deren Aroma trocken wie die Wissenschaft ist.

Dank an Thomas Seppi, Medizinische Universität Innsbruck.

 

FUTUR II

(Time Machine) (2013)

Glas, Stahl, Kunststoff, Grünalgen (Chlorella vulgaris), 245 x 240 x 200 cm

Die Biomasse der Algen wird in der Skulptur FUTUR II durch den von Friedrich Bergius 1913 beschriebenen chemischen Prozess der hydrothermalen Karbonisierung in Kohle umgewandelt. Wie im Zeitraffer verwandeln sich die Pflanzenzellen innerhalb weniger Stunden in Kohlenstoff – ein Prozess, der in der Natur zehntausende Jahre dauern würde. Auf diese Weise wird Kohle für die Kunst gewonnen, die zu Stiften gepresst Feuerstein für seine Zeichnungen verwendet. Das Grün der Algen transformiert sich in das Schwarz der Kohle.  Das Zeichenmaterial bzw. der aus Kohlendioxyd gewonnene Kohlenstoff schreibt sich in die Motive der Bilder ein und schafft eine Überschneidung von Materialität und Bedeutung, von Signifikant und Signifikat. FUTUR II performiert über den Prozess der Algenkarbonisierung und die resultierenden Kohlezeichnungen eine historische Wende kultureller Kohlenstoffkreisläufe, die am Ort der Muffathalle, wo einst Kohle zur Gewinnung von Elektrizität für die Münchner Straßenbahnen verfeuert wurde, sinnfällig wird.

Dank an Christian Ebner, Arbeitsbereich Umwelttechnik, Universität Innsbruck

 

COSMOSE

(2019)

Kohlenstoff auf Papier, 179 x 132 cm

Der Kohlenstoff, der aus heranwachsender Algenbiomasse in der Skulptur FUTUR II hydrothermal karbonisiert wurde, wird anschließend zu Stiften gepresst, die das Zeichenmaterial für seine Werkserie „Kohle für die Kunst“ liefern. COSMOSE changiert zwischen Natur und Technik und zeigt ein Form, welche an einen von technoiden Leitungssystemen und organischen Gedärmen durchwachsenen Asteroiden erinnert. Gleichzeitig abstrakt und gegenständlich steht das gezeichnete Objekt sowohl für das Anzestrale als auch im Sinn von Futur II für eine bereits vollendete Zukunft.

 

ARTWORKS
Adam Brown

Shadows from the Walls of Death

(2019-2021)

Performance in Zusammenarbeit mit Rebekah Blesing (USA) und Unterstützung von Manuel Selg (AT)

Die Performance und Installation Shadows from the Walls of Death dekonstruiert die symbolische und oberflächliche Verwendung von ,Grün’ – meist assoziiert mit ökologischem bzw. pflanzlichem Wohlergehen – als Maskerade. Dazu stellt er ein hochgiftiges Pigment namens Paris Green her und bemalt damit sprichwörtlich tödliche Wandtapeten, mit denen der Mensch ironischer Weise seine materielle Verbindung mit der Farbe Grün wiederhergestellt hat. Mit der Synthese dieses hyper-toxischen grünen Pigments, als Gegenpol zu Bildern einer idealisierten pastoralen Natur, nimmt die Performance Shadows from the Walls of Death auf ein gleichnamiges Buch des Chemikers Dr. Robert Kedzie aus dem Jahre 1874 Bezug, in dem dieser die Öffentlichkeit über die Gefahren von arsenhaltigen Tapeten aufklärte. Hatte die industrielle Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts moderne Städte entstehen lassen, die den Menschen aus der verflochtenen Verbindung mit der Natur lösten, so deuten immer mehr genetische, physiologische und psychologische Indizien darauf hin, dass sich der Mensch biologisch wie kulturell derart entwickelt hat, dass er sich zu Grünem hingezogen fühlt. Dies mag zu dem menschlichen Drang geführt haben, Grünes in städtischen Umgebungen wiederherstellen zu wollen – und dies resultiert jedoch in einer Reihe von Paradoxien und Widersprüchen: Gerade die chemischen Prozesse, die künstlich eingesetzt wurden, um ,Grün’ ins Leben der Menschen zurückzubringen, liefen parallel zur anthropogenen Zerstörung der Umwelt. In Massenproduktion hergestellte giftige Pigmente wurden verwendet – sei es von Künstlern, zur Textilfärbung, in bedruckten Tapeten und sogar als Farbstoff für Süßigkeiten – u.a. um dekorative Muster zu reproduzieren, die versuchten jene ‚Natur’ zu ersetzen, die durch die industrielle Revolution erodiert wurde. Bewaffnet mit einer relativ preiswerten Palette leuchtender prismatischer Farben – wie z.B. Paris, Schweinfurt oder Smaragdgrün – zogen Maler aus, symbolische Illusionen der natürlichen Welt zu fertigen.

In Shadows from the Walls of Death wird Paris Green live in einem kontrollierten, chemisch sicherem Dispositiv hergestellt, um jene tödlichen Tapeten aufs Neue zu reproduzieren. Schließlich wird noch ein ikonisches Motiv in Paris Green gemalt, welches sich auf Van Gogh bezieht, um dann in einem letzten Schritt wiederum von bakterienbasierte Mikroökologien biologisch abgebaut und entgiftet zu werden. Derartige mikro-ökologische Systeme sind in der Lage, Arsen zu entsorgen; sie existieren aufgrund des evolutionären Prinzips ‚Alles ist überall, und die Umwelt selektiert.’ Diese nicht-menschlichen Mikro-Ökologien helfen uns einerseits aus der Patsche verseuchter Ökosysteme, und andererseits dabei, jene Ontologien zu dekonstruieren, die sich lediglich um menschliche Individualität drehen. Als indexikalischer Akt stellt diese künstlerische Aktion Fragen jenseits des Symbolischen und unterstreicht die Bedeutung eines materiellen, erkenntnistheoretischen und politischen Engagements der Künste, hat doch die chemische Synthese giftiger Pigmente den Verlauf der Kunstgeschichte selbst radikal verändert.

Mit Unterstützung von:
 Michigan State University Bridge Art, Science and Humanities Program

Presse

Statement Muffatwerk

Das Muffatwerk bietet Künstlern und Künstlerinnen seit über zwanzig Jahren eine Plattform, sich mit dem Hybriden in der Kunst auseinanderzusetzen und Art & Science in ihren Arbeiten miteinander verschmelzen lassen. Aktuelle Strömungen in der Kunst wenden sich nicht mehr nur der Zentralität des menschlichen Körpers und Wesens zu, sondern erweitern ihren Fokus um die Potentiale von Molekülen, Bakterien und Zellstrukturen auf der einen Seite, und der Ökologie auf der anderen. Angesichts der massiven Herausforderungen, die durch die Zerstörung ökologischer Systeme und die biotechnische Manipulierbarkeit von Organismen entstehen, erscheint es uns unabdingbar, diese Entwicklungsprozesse aus einem kritischen künstlerischen Blickwinkel zu betrachten. Das Muffatwerk möchte diese Strömungen über einen mehrjährigen Zeitraum einem interessierten Publikum nahebringen und damit den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs im Spannungsfeld von Kunst, Natur und Wissenschaft begleiten. Mit gREen startet das Muffatwerk deshalb eine Veranstaltungsreihe,  welche diese aktuelle Dynamik der Veränderung ökologischer Systeme sowie ihre politischen und technikphilosophischen Konsequenzen reflektiert. Dazu haben wir den Kunst-Theoretiker und Kurator Dr. Jens Hauser gewinnen können, der sich seit langer Zeit intensiv mit jenen Kunstformen und den mannigfaltigen Bedeutungen von ‚Grün’ auseinander setzt, und in der Muffathalle bereits in der Vergangenheit Akzente hybrider Kunst setzen konnte. Die monumentalen biotechnischen Installationen, künstlerischen Duftportraits von Bäumen sowie die performative Produktion auch von giftigem Grün spiegelt zum Auftakt der Reihe die Ambiguität wider, welche Kunst stets hinter vermeintlich einfachen Lösungen und Parolen ans Licht bringt.

Dietmar Lupfer, Artistic Director & Managing Partner Muffatwerk